Realkennzeichen - Lexikon der Psychologie
Bei Realkennzeichen handelt es sich um Hinweise in Bezug auf eine Zeugenaussage, die dafür sprechen, dass die Aussage auf realen Begebenheiten beruht. Realkennzeichen spielen vor Gericht insbesondere bei der Glaubwürdigkeitsbeurteilung von kindlichen Zeugenaussagen eine entscheidende Rolle.
Prinzipiell lassen sich zwei Ansätze bei der Beurteilung von Aussagen unterscheiden: Hinweise für die generelle Glaubwürdigkeit einer Person und Hinweise für die Glaubhaftigkeit einer konkreten Aussage. Auch wenn eine Person als wenig glaubwürdig anzusehen ist, kann eine konkrete Aussage dennoch glaubhaft sein.
Hinweise, die für die generelle Glaubwürdigkeit einer Person sprechen:
- psychisch stabil / keine psychischen Störungen
- hohe Werte für Gewissenhaftigkeit (siehe Big-Five-Persönlichkeitstest)
- keine früheren Falschaussagen
- Religiosität, die z.B. das Lügen verbietet
- kein Drogenmissbrauch
Hinweise, die gegen die Glaubwürdigkeit einer Person sprechen:
- Vorliegen bestimmter psychischer Störungen, z.B. dissoziative Störung / multiple Persönlichkeit, wahnhafte / psychotische Störungen, Schizophrenie, krankhaftes Lügen
- Missbrauch bestimmter Drogen
- hohe Beeinflussbarkeit / Suggestibilität, z.B. bei hoher emotionaler Labilität (siehe Neurotizismus)
- starke (emotionale) Abhängigkeit von anderen Menschen
- vorangehende suggestive Befragung durch andere
- besondere Motivationslage
Realkennzeichen nach Steller & Köhnken
Realkennzeichen beziehen sich auf die Glaubhaftigkeit einer konkreten Aussage. Hinweise für die Glaubhaftigkeit einer konkreten Aussage (positive Realkennzeichen):
- Geschehen wird detailreich und sprunghaft erzählt (nicht auswendig gelernt)
- Ungewöhnliche Details, z.B. eine Schlafzimmertür lässt sich nur von außen abschließen, nicht von innen.
- Der Person fehlen für bestimmte Handlungen die Worte, z.B. wenn ein Kind den Geschlechtsverkehr nicht benennen sondern nur umschreiben kann.
- Geschehen kann konsistent in unterschiedlicher Struktur und mit anderen Wörtern wiederholt werden.
- Typische Erinnerungslücken, typische Verfälschungen (die es bei auswendig gelernten Geschichten nicht gibt), Erinnerungsfetzen fallen erst später ein
- Schilderung mit unbewussten Reflexen, z.B. wenn sich ein Kind bei der Schilderung des schmerzhaften Analverkehrs unbewusst an den Po fasst
- Schilderung belastet das Opfer - entlastet den Täter
- Schilderung von eigenen Emotionen, Zweifeln und Unsicherheit
- Anschauliche Schilderung von Körperempfindungen (z.B. Und dann ist mir der Fuß eingeschlafen)
- Schilderung enthält wörtliche Zitate bzw. direkte Rede
Hinweise, die gegen die Glaubhaftigkeit einer konkreten Aussage sprechen (negative Realkennzeichen):
- Aussage kann nicht konsistent wiederholt werden
- Aussage kann nicht von hinten / zeitlich durcheinander erzählt werden
- Es werden immer wieder die gleichen Wörter, Redewendungen und Begriffe verwendet
- Schilderung ist nicht altersgerecht (von außen durch suggestive Fragen eingegeben)
- Lineare Erzählweise ohne typische Erinnerungslücken
- Geschehen kann logisch nicht passiert sein
Um Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit zu beurteilen, können vom Gericht Gutachter bestellt werden (siehe Glaubwürdigkeitsgutachten).
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