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Verheiratet, ein kleines Kind und offene Beziehung - eine emotionale Achterbahn

MNO (w, 28) aus Stuttgart : Guten Tag,
ich bin 28, Studentin, Mutter eines 1,5-J. und verheiratet. Wir sind seit 6 J. zusammen und ich kann den Punkt, seitdem es nicht mehr „läuft“, nicht sagen, doch schon bei den Hochzeitsvorbereitungen gab es Streitigkeiten. Danach wurde ich schwanger und hatte immer weniger Anziehung zu meinem Mann, bis sie ganz weg war. Ich liebe ihn, aber eher wie meinen besten Freund.
09/20 überlegten wir die Beziehung zu öffnen. Ich habe mich auf einer Dating-App registriert und mir kaum Gedanken gemacht - bis Sie da war. Ich war jeden Tag so glücklich, wenn wir schrieben. Sie wusste aber nicht, dass ich verheiratet bin - das ist der Punkt. Wir kamen erst Tage später darauf und sie beendete den Kontakt im Guten.
Wochen später schrieb ich ihr, dass ich sie vermisse etc. Sie antwortete, dass es so nicht optimal ist und sie nicht weiß, was sie noch sagen soll..
Ich kann nicht aufhören auf ihr Profil zu gehen und Szenarien abzuspielen. Dass sie mir nie wieder schreibt und ich ihr nicht schreiben „kann“ macht mich verrückt. Ich weiß nicht, was mit mir los ist und wie es dazu kam. Ich müsste mein Leben aufgeben, nur um Teil von ihrem zu sein.
Mittlerweile denke ich es wäre besser ich bleibe alleine, weil ich die Erwartungen anderer nicht erfüllen kann und sie und mich selbst nur unglücklich mache. Finanziell geht das nicht. Zu einer Psychologin zu gehen kann ich mich nicht wirklich überwinden. Ich bin festgefahren und weiß nicht, wie ich da herauskommen soll. Auch habe ich Angst, einfach alt zu werden.
Danke für Ihre Rückmeldung.

Antwort vom Psychomeda Therapeuten-Team:

Liebe MNO,
vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Vertrauen, das Sie uns, den Therapeutinnen und Therapeuten, bei psychomeda.de entgegenbringen.

Bei Ihrer Nachricht dachte ich spontan: Ja, das hört sich ziemlich kompliziert an. Eine unerfüllte reale Beziehung (die zu Ihrem Mann), in der ein wichtiges Bedürfnis für beide Seiten zu kurz kam und kommt (unter anderem die sexuelle Anziehung) und eine unerfüllte Beziehung mit „ihr“ von der Dating-App. Das kann ich Ihnen sehr gut nachfühlen, dass Sie sich momentan festgefahren fühlen und in einer verzwickten Lage stecken.
Da gibt es einen Teil in Ihnen, der Ihren Mann (freundschaftlich) liebt und einen Teil in Ihnen, der – wenn ich das so richtig verstanden habe - noch „was erleben“ und nicht „einfach alt werden“ möchte. Dass Sie und Ihr Mann die Beziehung geöffnet haben (Gilt die Öffnung für beide? Nimmt Ihr Mann auch die Öffnung in Anspruch?) interpretiere ich in die Richtung, dass Sie beide am Erhalt Ihrer Beziehung interessiert sind und Sie beide sich aus guten Gründen nicht trennen möchten. Allerdings hat Sie die Bekanntschaft mit ihr, die Sie in der Dating-App kennengelernt haben, Sie in eine verzwickte emotionale Lage gebracht.

Offensichtlich hat „sie“ Ihnen während des Chat-Kontaktes etwas geben können, was Sie Ihnen sehr guttut. Sie waren, so schreiben Sie, so glücklich, wenn Sie mit „ihr“ geschrieben haben. Da ploppte in meinem Inneren die Frage auf: Was war das genau, was „sie“ Ihnen geben konnte? Lohnt es sich, nach diesem, was Ihnen so gutgetan hat, in Ihrer Beziehung zu Ihrem Mann zu suchen? Haben Sie mit „ihr“ etwas erlebt, was Sie eigentlich gern mit Ihrem Mann erleben würden? Viele Paare kommen mit der Geburt des ersten Kindes an ihre persönliche Grenze und an die Grenze als Paar. Bei Ihnen „knirschte“ es laut Ihren Worten schon vor der Geburt in der Beziehung, so dass ich mir vorstellen kann, dass durch die Elternschaft und mit den einhergehenden Herausforderungen für Sie als Paar, und Eltern, bestehende Beziehungsprobleme eher verstärkt als abgemildert wurden. Vielleicht wäre auch eine Paarberatung für Sie und Ihren Mann eine Option, um unerfüllte Bedürfnisse von beiden Seiten zur Sprache zu bringen und einen Umgang damit zu finden. Voraussetzung ist dafür, dass Sie beide die Beziehung fortführen und Sie beide Zeit und Energie bereitstellen möchten, diese Herausforderungen und Entwicklungen gemeinsam anzugehen.

Als zweiter Gedanke kam mir: sofortiger Rückzug aus der Dating-App (eigenes Profil löschen) und dadurch nicht mehr „ihr“ Profil aufsuchen. Wie mir scheint, verstärkt der ständige Besuch auf „ihrem“ Profil Ihre negativen Grübelschleifen. Ihr Gefühl „Es macht mich verrückt, nicht mehr mit ihr in Kontakt treten zu können.“ erhalten Sie durch das ständige Besuchen „ihres“ Profils aufrecht. Auch wenn es ein sicherlich ein harter Schritt ist, sich aus der App zurückzuziehen, so denke ich, es könnte Ihnen wirklich helfen. Damit Sie erst einmal zur Ruhe kommen und Ihre Gedanken sortieren können.
Mein dritter Gedanke bezieht sich darauf, dass „sie“ den Kontakt abgebrochen hat, weil „sie“ erfuhr, dass Sie verheiratet sind. Kontaktabbrüche sind stets sehr schwer zu ertragen. Vielleicht ist es Ihnen oder jemanden in Ihrem Umfeld schon einmal so gegangen, dass eine gute Freundin oder ein guter Freund plötzlich „abgetaucht“ ist. Das tut weh – vor allem, wenn man schlussendlich nicht die wirklichen Gründe erfährt, warum der Kontaktabbruch erfolgte. In Ihrem Fall scheint es das „verheiratet sein“ gewesen zu sein, dass der Kontakt von „ihrer“ Seite beendet wurde. Und hier ist jetzt sozusagen ein Scheunentor für Interpretationen aufgegangen: Möchte „sie“ Ihre Beziehung nicht sprengen und für eine Trennung verantwortlich sein? Möchte „sie“ keine komplizierten Ex-Beziehungen, die die eigene Beziehung belasten? Hat „sie“ vielleicht schon schlechte Erfahrungen mit Verheirateten gemacht? Oder könnte es auch ganz anders sein? Spielt „sie“ vielleicht gerne mit dem Feuer und zieht sich zurück, wenn es konkreter wird? Es gibt so viele Erklärungsmöglichkeiten und Gründe und schlussendlich werden Sie nicht erfahren, was genau dahintersteckt.

Wie würden Sie selbst reagieren, wenn Sie jemanden beibringen müssten, dass Sie keinen Kontakt mehr möchten? Was Sie von „ihr“ geschildert haben, klang für nach einem recht respektvollen Umgang von „ihr“ mit Ihnen: „Sie“ hat klargestellt, dass Sie keinen Kontakt möchte und wie Sie schrieben, den Schnitt „im Guten“ gemacht. „Sie“ hat Ihnen sogar noch einmal geantwortet, nach dem Sie sich Wochen später bei ihr gemeldet haben. Es war „ihr“, wie es scheint wichtig, Sie nicht einfach im Regen stehen zu lassen. Dennoch stand und steht „sie“ zu ihrer Entscheidung und hat keine Tür aufgemacht, um den Kontakt mit Ihnen wieder zu starten. Sie schrieben, dass Sie ihr Leben aufgeben müssten, um ein Teil von „ihrem“ zu sein. Ich kann nicht beurteilen, ob „sie“ das auch signalisiert hat. Dennoch höre ich heraus, dass Ihnen die „Kosten“ – Ihr bisheriges Leben komplett aufgeben für „sie“ – zu hoch erscheinen und Sie deshalb den Schritt nicht tun (möchten).

Vielleicht gelingt es Ihnen in Anbetracht der Situation, die so ist, wie sie ist, dankbar zu sein, dass Sie von „ihr“ mit Respekt behandelt wurden. Vielleicht gelingt es Ihnen dankbar zu sein für das, was Sie mit „ihr“ erlebt haben: Sie haben Glück und Wohlbefinden in diesem Kontakt gefunden. Zurückholen und wiederaufleben lassen können Sie diese Zeit nicht, aber Sie können diese schönen Erlebnisse mit „ihr“ in Ihrem Inneren bewahren.
Mein vierter Gedanke war, ob Ihnen ein Abschiedsritual helfen würde: Manche schreiben einen Abschiedsbrief an die betreffende Person und verbrennen oder vergraben diesen anschließend. Dies, so aus Erfahrung, erleichtert viele Menschen. Manche verbrennen ein Foto. Wieder andere setzen ein kleines Papierboot auf einen Fluss und verabschieden so ihre unerreichbaren Träume. Vielleicht fällt Ihnen ein Abschiedsritual ein, was Ihnen hilft, Abschied zu nehmen.

Mein letzter Gedanke bezieht sich darauf, dass Sie schrieben, die Erwartungen anderer nicht zu erfüllen und deshalb lieber alleine blieben. Das wäre sehr schade. Und ich kenne im Übrigen keinen einzigen Menschen, der die Erwartungen anderer erfüllt. Nehmen Sie diese Last von Ihnen Schultern.

Nun hoffe ich, liebe MNO, dass Sie etwas für sich aus meiner Antwort herausziehen können, was Ihnen hilft. Ich freue mich, wenn Sie mir in der Bewertung meiner Antwort eine kleine Rückmeldung dalassen, ob Sie sich gut aufgehoben und verstanden gefühlt haben. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute!

Ihre Christina Schulz
Bewertung durch den Fragensteller:

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